Wald-Idylle

An J.M.


Unter die Eiche gestreckt, im jung belaubten Gehoelze
Lag ich, ein Buechlein vor mir, das mir das lieblichste bleibt.
Alle die Maerchen erzaehlt's, von der Gaensemagd und vom Machandel-
Baum und des Fischers Frau; wahrlich man wird sie nicht satt.
Gruenlicher Maienschein warf mir die geringelten Lichter
Auf das beschattete Buch, neckische Bilder zum Text.
Schlaege der Holzaxt hoert ich von fern, ich hoerte den Kuckuck,
Und das Gelispel des Bachs wenige Schritte vor mir.
Maerchenhaft fuehlt ich mich selbst, mit aufgeschlossenen Sinnen
Sah ich, wie helle! den Wald, rief mir der Kuckuck wie fremd!
Ploetzlich da rauscht es im Laub—wird doch Sneewittchen nicht kommen,
Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder geschieht.
Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges Schaetzchen!
Muessig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiss.
Ehrbar setzet es sich an meine Seite, vertraulich
Plaudern wir dieses und das, und ich erzaehle sofort
Gar ausfuehrlich die Leiden des unvergleichlichen Maedchens,
Welchem der Tod dreimal, ach, durch die Mutter gedroht.
Denn die eitle, die Koenigin, hasste sie, weil sie so schoen war,
Grimmig, da musste sie fliehn, wohnte bei Zwergen sich ein.
Aber die Koenigin findet sie bald; sie klopfet am Hause,
Bietet, als Kraemerin, schlau, lockende Ware zu Kauf.
Arglos oeffnet das Kind, den Rat der Zwerge vergessend,
Und das Liebchen empfaengt, weh! den vergifteten Kamm.
Welch ein Jammer, da nun die Kleinen nach Hause gekehrt sind!
Welcher Kuenste bedarf's, bis die Erstarrte erwacht!
Doch zum zweitenmal kommt, zum dritten Male, verkleidet,
Kommt die Verderberin, leicht hat sie das Maedchen bechwatzt,
Schnuert in das zierliche Leibchen sie ein, den Atem erstickend
In dem Busen; zuletzt bringt sie die toedliche Frucht.
Nun ist alle Huelfe umsonst; wie weinen die Zwerge!
Ein kristallener Sarg schliesset die Aermste nun ein,
Frei gestellt auf dem Berg, ein Anblick allen Gestirnen;
Unverwelklich ruht innen die suesse Gestalt.
—So weit war ich gekommen, da drang aus dem nächsten Gebuesche
Hinter mir Nachtigallschlag herrlich auf einmal hervor,
Troff wie Honig durch das Gezweig und spruehte wie Feuer
Zackige Toene; mir traf freudig ein Schauer das Herz,
Wie wenn der Goettinnen eine, vorueberfliehend, dem Dichter
Durch ambrosischen Duft ihre Begegnung verraet.
Leider verstummte die Saengerin bald, ich horchte noch lange,
Doch vergeblich, und so bracht ich mein Maerchen zum Schluss.—
Jetzo deutet das Kind und ruft: "Margrete! da kommt sie
Schon! In dem Korb, siehst du, bringt sie dem Vater die Milch!"
Und durch die Luecke sogleich erkenn ich die ältere Schwester;
Von der Wiese herauf beugt nach dem Walde sie ein,
Ruestig, die braeunliche Dirne; ihr brennt auf der Wange der Mittag;
Gern erschreckten wir sie, aber sie gruesset bereits.
"Haltet's mit, wenn Ihr moegt! es ist heiss, da misst man die Suppe
Und den Braten zur Not, fett ist und kuehle mein Mahl."
Und ich straeubte mich nicht, wir folgten dem Schalle der Holzaxt;
Statt des Kindes wie gern haett ich die Schwester geführt!

Freund! du ehrest die Muse, die jene Maechen vor alters
Wohl zu Tausenden sang; aber nun schweiget sie laengst,
Die am Winterkamin, bei der Schnitzbank, oder am Webstuhl
Dichtendem Volkswitz oft koestliche Nahrung gereicht.
Ihr Feld ist das Unmoegliche; keck, leichtfertig verknuepft sie
Jedes Entfernteste, reicht lustig dem Bloeden den Preis.
Sind drei Wuensche erlaubt, ihr Held wird das Albernste waehlen;
Ihr zu Ehren sei dir nun das Gestaendnis getan,
Wie an der Seite der Dirne, der vielgespraechigen, leise
Im bewegten Gemuet brünstig der Wunsch mich beschlich:
Wär ich ein Jaeger, ein Hirt, wär ich ein Bauer geboren,
Trueg ich Knuettel und Beil, waerst, Margarete, mein Weib!
Nie da beklagt ich die Hitze des Tags, ich wollte mich herzlich
Auch der rauheren Kost, wenn du sie braechtest, erfreun.
O wie herrlich begegnete jeglichen Morgen die Sonne
Mir, und das Abendrot ueber dem reifenden Feld!
Balsam wuerde mein Blut im frischen Kusse des Weibes,
Kraftvoll bluehte mein Haus, doppelt, in Kindern empor.
Aber im Winter, zu Nacht, wenn es schneit und stoebert am Ofen,
Rief' ich, o Muse, dich auch, maerchenerfindende, an!


Eduard Moerike  1829



Forest-Idyll

For J.M.


Stretched out under an oak tree, in a leafy spring copse
I lay with a book before me, alas, still my favorite.
A compendium of fairy tales, about the Goose-Maid and Juniper-
Tree and Fisher's Wife; never will I have my fill of them.
The greenish light of May cast rings of light to me  
On the shadowed book, quaint images to go with the text.
Chopping of distant axes I heard, and the cuckoo as well,
And the lisping of the brook only a few paces away.
I felt as if in a fairy tale myself, my every sense alert I saw
How bright the forest was, heard how strange the cuckoo calls!
And now, a rustling in the leaves—is Snow White about to come,
Or as if by magic a fawn? No, no such wonder.
But look, my neighbor-girl from the village, my little dear!
Walking carefree in the woods, knowing her father was there.
Politely she sits down beside me, and trusting
We chat about petty things until but I began to relate
At length the sufferings of a girl so unlike the others,
Whose mother three times threatened to kill her.
Because that haughty woman, the queen, hated her for her beauty,
So viciously that she had to flee, but found refuge with the dwarfs.
But the queen soon finds her, knocks at the door,
Offers, in peddler's guise, with cunning, enticing wares for sale.
Unsuspecting, the child opens, forgetting what the dwarfs said,
Then the dear girl receives, oh pity! the poisoned comb.
What lamentation when the little ones come home!
What magic is required to awaken the stiff body!
And a second, a third time the depraved one returns
Disguised, and easily she wheedles the girl,
She laces her in a dainty bodice so tight her breath is stifled
In her breast; finally she gives her the deadly fruit.
Now she is beyond all help; how the dwarfs weep!
The poor girl lies encased in a crystal coffin,
Placed on a hilltop in the open, for all the stars to see;
Unspoiled her sweet form rests inside.
—I had come thus far, when from out of next bush
Behind me came suddenly a nightingale's glorious song
Pearling like honey from off the branches spraying like fire
Brisk sounds; my heart shivered with joy,
'twas as if one of the goddesses, fleeing past, left for the poet
An ambrosial scent lingering where they had met.
Alas, the bird sang no more, I listened for a long while
But in vain, and thus brought my tale to an end.—
But now the child points and shouts: "Margaret! Here she comes
Now! In her basket, see, she brings milk for her father!"
And through a clearing I catch sight of the elder sister,
Coming over the meadow and turning into the woods,
Spry the tanned lass, on her cheeks the brown of noonday;
We had wished to surprise her, but she greets us first.
"Come along, enjoy it! It is hot, use spoons for the soup
And for the roast if need be, 'tis hearty and getting cold already."
I had nothing against it, we went to where we heard the axe;
But 'twas not the child, 'twas her sister I would gladly have led!

Friend! You honor the muse, who of old sang those fairy tales
By the thousands; but now she has long since been silent,
She who at the winter fireplace, at the carver's bench or the loom
Often fed the poetic mind with precious nourishment.
Her field is the impossible; boldly, deftly, she ties together
Every rambling thing, then playfully hands to the fool the prize.
Given three wishes, her hero chooses the most absurd;
To honor her I would confess this to you now,
As when beside the harlot, the talkative one, a gentle
Passion was aroused until my longing overwhelmed me:
Had I been born a hunter, a shepherd, a farmer,
If I bore club or an axe, you, Margaret, would be my wife!
Never would I complain of the day's heat, gladly would I
Sit down to tasteless food, if you had placed it before me.
O with what bliss I would greet every morning sunrise,
Every reddening of an evening sky over the ripening field!
My blood would be as balsam after we had heartily kissed,
With vigor my family would blossom, doubly, with children.
But in winter, at night at the hearth, with snow drifting outside,
I would call for you too, maker of fairy tales, my Muse!


Translation: Charles L. Cingolani                                     Copyright © 2010   


J.M. = Johannes Maehrlen, a friend of Moerike's




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Comment
. . . While in the forest, sitting with book in hand, the poet's fairy tale world comes alive . . .